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Meinungsforschung ohne Meinungsfreiheit?

Von Matthias Fargel
Bis zum Abi 1970 wohnte ich unter dem Regime des Generals Franco in Spanien. Bei innenpolitischen Ereignissen gemahnten "los grises“ - grau uniformierte Einsatzkräfte fürs Grobe - zur Meinungsenthaltung in der Öffentlichkeit. Auch in Hörweite spitzelnder Pförtner blieb man besser unverfänglich. Umso offener rissen wir im Privaten Witze über den "greisen Caudillo" und dessen "Kirchenbonzen". Mit pikaresker Chuzpe ließen Spanier die Meinungskontrolle schon zu Francos Endzeit faktisch erodieren.
Szenenwechsel: Nach 7- jähriger Militärdiktatur bereitete der Nationalrat Uruguays 1980 die Rückkehr zur Zivilregierung vor. Auftrags einer deutschen Stiftung agierte ich wochenweise als Berater der in Montevideo erscheinenden Tageszeitung "El Día“, Organ der "Colorados“- Partei. Um als Meinungsforscher die Akzeptanz des neuen Verfassungsentwurfs unter den Wahlberechtigten professionell zu erheben. Mit dem Resultat, dass sich empirisch keine Mehrheit für die Satzung im Sinne der "Colorados“ identifizieren ließ. Unmöglich, sagten die Auftraggeber. Repressives Meinungsklima? Falsche Befragungsmethode? Schiefe Stichprobe? Unfähige Interviewer? Tatsächlich fiel Wochen später jener Verfassungsentwurf beim nationalen Referendum mit knapp 53 Prozent Ablehnung durch. Die klassische F2F-Meinungsforschung hatte sich trotz ungünstiger Ausgangsbedingungen als robust bewährt. Beide Diktaturen sind inzwischen Geschichte.
Heute führt Präsident Xi‘s Machtapparat die Meinungsfreiheit im bedeutendsten Zukunftsmarkt für fast alles, der VR China, an immer kürzerer Leine. Beengender Alltag für Wissenschaftler, politisch Ambitionierte außerhalb des CCP- Mainstreams, Künstler und Journalisten. Die "Great Firewall“ schirmt mit Zensoren, Crawler- und Löschprogrammen chinesische Internet-Nutzer von unwillkommenen Beiträgen aus dem In- und Ausland ab. Zum Ausgleich füttern Millionen Staatsblogger und Bots die sozialen Medien mit beglückenden Systemfreundlichkeiten; zum Schutze der Harmonie, Würde und genuinen Werte Chinas. Ausländische Web-Anbieter wie Facebook, Google und YouTube bleiben außen vor. Dennoch blüht eine nationale Chat, Post- und Blogkultur zu allen nur erdenklichen Alltagsthemen, mit vermuteten 800 Millionen Teilnehmern bei RenRen, Weibo und Tencent. Für chinesische Traditionalisten ungebührend freimütig, persönlich und kritisch. Online-Handelsdienste wie TaoBao verdanken ihre Popularität nicht zuletzt den dort angebotenen Meinungsplattformen. Neugierde an Innovationen, die Freude am Teilen von Erfahrungen und das große Interesse an Leuten, die sich mit Ähnlichem befassen, lassen Chinas soziale Netzwerke brummen. Ein Eldorado für qualitativ beobachtende Marktforscher, auf der Suche nach aktuellen Trends. Die direkte Befragung hingegen, offen oder standardisiert, hat es in China schwer. Die staatlich wiedererwachte Lust am Zensieren und Bespitzeln macht die proaktive Meinungsforschung nicht leichter. Das ist jedoch nicht der Grund dafür, dass klassische Befragungsmethoden nur mäßig ergiebig sind. Die Eigenarten der chinesischen Kultur stellen sich quer: Auf direkte Fragen ausweichend antworten; Vorsicht und Respekt vor vermuteten Autoritäten, Gesicht wahren, Höflichkeit und Unwillen, sich festzulegen. Zudem strotzt der chinesische Alltag heute vor Scorings und Rankings: Von der Schule über den Arbeitsplatz bis hin zur neuen, umfassenden Bürgerbewertung im "social credit system“, das jeden Einwohner auf seine zivile Zuverlässigkeit hin misst. Ein Pilotversuch läuft bereits. Bewertungsskalen machen in China selten Freude, aber erzeugen immer mehr Druck.
Abgesehen davon, funktioniert meiner Erfahrung nach Produkt- und Dienstleistungs-Marktforschung trotz repressiver politischer Systeme. Solange man politische "No-Way“- Themen vermeidet. Bei Alltagsthemen erweisen sich die Zielgruppen kesser und unabhängiger, als demokratiegewohnte Auftraggeber mitfühlend vermuten. Wesentlich stärker beeinflussen lokale kulturelle Normen, was und wie erhoben werden kann. Ob und wie man Frauen oder Jugendliche allein befragen soll, ob der Zugang zu privaten Wohnungen, Videoaufnahmen von Mimik oder Beobachtungen möglich sind und ob auf öffentliche Daten Verlass ist. Sollen Frauen oder Männer moderieren, besser junge oder ältere? Aus und in welchen sozialen Milieus? Was sind erfolgversprechende Wege der Kontaktanbahnung, angemessene Aufwandsentschädigungen und Anreize zur Teilnahme? Wen erreicht man über Telefon, die sozialen Medien, über mobile Geräte? All dies hängt eher von Konventionen und dem Zustand der Infrastruktur ab, als vom politischen System. In Europa hoch gehandelte Fragen zur Diskretion und Datenschutz sind anderswo tiefer gehängt, unabhängig vom Umgang mit Meinungsfreiheit. So teilen Studienteilnehmer in den USA und VR China eine ähnliche Nonchalance bezüglich personenbezogener Daten; teils aus Ignoranz, teils aus Gewohnheit oder Resignation (siebe oben).
Die größere Schere im Kopf schmiedet die Kultur. Für manche politisch Gegängelte sind die harmlosen Marktforschungsinterviews sogar ein willkommener Anlass, sich zu äußern. Damit bewegen sich Markt- und Meinungsforscher überwiegend auf unvermintem Terrain.
Zivilcourage bedarf es jedoch, unter autoritären Regimen die öffentliche Meinung nicht nur erfragen, sondern sie zu beeinflussen - entgegen der Lesart der Mächtigen. Als Autor, Anwalt, Aktivist für Umwelt und Menschenrechte. Solch Mutige und Engagierte honoriert der Lew Kopelew Preis. Er erinnert uns daran, wie wertvoll Meinungsfreiheit ist, selbst wenn man als Marktforscher nicht die Grenzen ausloten möchte – aber könnte.
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