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- Dossier: Health- und Pharma-Marktforschung
Health- und Pharma-Marktforschung

von Dieter Korczak, ESOMAR-Präsident (2010-2011), Gründer und Leiter der GP-Forschungsgruppe (Healthcareforschung seit 1985)
Die 80er- Jahre des letzten Jahrhunderts waren eine hervorragende Zeit für Marktforschungsinstitute, die sich auf Gesundheits- und Pharmamarktforschung spezialisiert hatten. 1987 waren lediglich 25 Institute Mitglieder im ADM, die Gesamtzahl der Mafo- Institute wurde auf 100 geschätzt. Die Big Player in der Pharmamarktforschung waren IMS Health (jetzt: IQVIA), Infratest Gesundheitsforschung (jetzt: Kantar Health) und die GfK Gesundheitsforschung. IMS Health verfolgte über 1 Million Pharmaprodukte und konnte dadurch kontinuierliche Daten zum Arzneimittelumsatz liefern. Ein Großteil des Mafo-Budgets von Pharmafirmen wurde durch den Ankauf von IMS-Daten aufgesogen.
Infratest Gesundheitsforschung wurde damals vom legendären Baron Dieter von der Recke (1929- Dezember 2020) geführt, der regelmäßig die Marktforscher der großen Pharmafirmen bei sich zu Gast hatte und zu Recht in einem Nachruf als Wegbereiter der Gesundheitsforschung bezeichnet wurde. Die Infratest Gesundheitsforschung hatte Anfang der 80er Jahre rund 50 Mitarbeiter*innen und war sowohl mit quantitativen Standarduntersuchungen (z.B. Krankenhaus- und Ärztepanels), wie Adhoc-Forschung für nahezu alle Pharmafirmen, aber auch für Gesundheitsministerien und Gesundheitsbehörden tätig. Für Letztere wurden beispielsweise große Repräsentativuntersuchungen zum Alkohol-, Tabak- und Drogenkonsum von Jugendlichen oder die Deutsche Herzkreislaufpräventionsstudie mit 16.000 Probanden (Leitung: Ernst Schröder) durchgeführt.
Die üblichen Studien betrafen das Verschreibungsverhalten von Ärzt*innen oder (Werbemittel)Konzepttests, auch Image- oder Außendienstmitarbeiter-Untersuchungen sowie Kundenzufriedenheitsuntersuchungen, überwiegend als Face-to-Face. Qualitative Studien wurden als Gruppendiskussionen oder mit Tiefeninterviews durchgeführt. Die Rekrutierung von Ärzt*innen, insbesondere Fachärzten, für Interviews oder Gruppendiskussionen war durchaus herausfordernd, denn die Pharmabranche und die Pharmamarktforschung hatten ein schlechtes Image. Bei Patient*innen bestand das Problem vor allem darin, seltene oder problematische Indikationsgruppen (z.B. Patient*innen mit Panikattacken) für ein Tiefeninterview zu gewinnen. Die Fragebogenkonstruktion erforderte spezialisierte Kenntnisse, zum Beispiel um die verschiedenen Therapieregimes von Krebsbehandlungen zu erfassen. 1981 veröffentlichten Mila Montemayor et al. den Beitrag „A Hybrid Utility Estimation Model for Conjoint Analysis“ im Journal of Marketing zur Evaluierung individueller Arztpräferenzen bei der Einführung eines neuen Antibiotikums. Dadurch wurden Segmentations-, Typologisierungs- und Conjoint Measurement Analysen zum modernen Methodentool der damaligen Zeit. Ab Mitte der 80er Jahre drängten die deutschen Pharmamarktforschungsinstitute verstärkt in das internationale Geschäft, das bis dato von englischen Instituten dominiert wurde. Die Mitgliedschaft in EphMRA (European Pharmaceutial Market Research Association), dem Verband von Pharmafirmen und Marktforschungsinstituten, war da für die internationale Vernetzung sehr hilfreich. Denn, wenn deutsche Pharmamarktforschungsinstitute internationale Studien durchführen wollten oder sollten, mussten sie sich jeweils Kooperationspartner in den jeweiligen Studienländern suchen.
Mit Beginn der 90er Jahre ist ein Entwicklungssprung in der Pharmamarktforschung zu beobachten. Einerseits wurde er dadurch ausgelöst, dass zusehends mehr Institute das profitable Geschäft der Pharmamarktforschung für sich entdeckten. Es gab zu der Zeit 160 relevante Pharmafirmen mit eigenen Marktforschungsabteilungen in Deutschland, von denen viele heute nicht mehr existieren (z.B. Hoechst, Cassella-Riedel, Albert-Roussel geschluckt von Sanofi oder Bristol-Myers, Squibb, von Heyden fusioniert zu BMS). Andererseits modernisierte der Marketingpapst Harald Friesewinkel mit seinen Ideen das Pharma-Business. Die Pharma-Industrie galt zu dem Zeitpunkt als „konservativ, nativistisch und wertretrospektiv“. Friesewinkel postulierte damals, dass die Pharma-Marktforschung einem „Dinosaurier gleiche, der im Staatszirkus vorgeführt wird – gehalten von Stahltrossen und in Zement einbetoniert“. Er forderte unter anderem Heuristiken statt Algorithmen , Lernkurven statt Linearritäten zu verwenden und Markenforschung statt Marktforschung zu betreiben.
Das spiegelt sich auch in den Themen der EphMRA-Konferenzen in den 90er Jahren wider: Forecasting, Intelligente Informationssysteme, Preisstudien, Rekrutierung für internationale Studien.
Um die Jahrtausendwende erfolgte im Wesentlichen der Begriffswandel von der Pharmamarktforschung zur Healthcareforschung. Neue Player traten auf (z.B. DocCheck Research/1996, Dialego/1999, Branding Science/2002). Online wurde gehypt, ungeachtet des Zusammenbruchs der Dotcom-Blase. Im Gegenteil, die dadurch bewirkten grandiosen Wertabschreibungen führten zu starken Ausgabenbeschränkungen für Pharmamarktforschung und der generellen Industrieforderung nach „billiger“ und schneller Marktforschung. Durch die Erkenntnisse der Neurowissenschaften und der Verhaltensökonomie (Kahnemann Nobelpreis 2002) gewannen psychologische, insbesondere morphologische, ethnographische und holistische Ansätze mehr Bedeutung. Die Erfassung der Alltagswelt von OTC-Konsumenten, Patienten, Medizingeräteverwendern, Apothekern, Diabetesberaterinnen und Ärzten bekam mehr und mehr Gewicht.
Die fortschreitende Globalisierung des Handels und der medialen Informationen (Marshall McLuhan), die Individualisierung in einer Multi-Optionswelt, die hedonistische YOLO Ausrichtung breiter Bevölkerungskreise, gepaart mit der internetgestützten Datenverfügung und der Zunahme der Leistungsfähigkeit von Hardware und Software stellten neue Anforderungen an die Marktforschung generell und an die Healthcare-Forschung im Besonderen. Online- oder Mobil-Befragungen gewannen mächtig an Terrain. Bereits 2008 lag der Anteil von Online-Befragungen bei 31 Prozent aller quantitativen Befragungen. 2019 liegt dieser Anteil bei den ADM-Instituten bereits bei 40 Prozent, überwiegend (77 Prozent) in Online-Access-Panels. Institute, die in der Healthcare-Forschung tätig sind, bauen Online-Panels nicht nur für medizinische Fachgruppen, sondern auch für Krankheitsbilder auf. Market Research Online Communities (MROCS) ermöglichen dabei in Echtzeit Ko-Kreationsprozesse. Der Einsatz der Informationstechnologie in Form von „lernenden“ Softwarepakten und die Kooperation mit oder Nutzung von Social Media erschließen neue „individualisierte bzw. personalisierte“ Informationsmengen. Die Zusammenarbeit von Unternehmen und Marktforschungsinstituten mit Technologieunternehmen (Apple, Google) nimmt zu. Digitale Gesundheitsanwendungen werden als vielversprechend gehandelt, haben gegenwärtig aber eine ganze Reihe von Limitationen (siehe dazu mein Buch „Digitale Heilsversprechen“).
Entgegen der Vorhersage von Friesewinkel nehmen nicht die Heuristiken, sondern die Algorithmen basierten Auswertungen großer Datensätze zu. Wobei die Heuristik im neuen Mafo-Berufsbild des Data Scientists zum Tragen kommt.
Zur Information über aktuelle Entwicklungen, zum Beispiel bei den MROCs, der Effizienz von Meta-Analysen, dem Einsatz psychographischer Verfahren wie Psychodrama oder der Rekrutierung von schwierigen Zielgruppen liefert das Dossier interessante Fall- und Problemdarstellungen.
Der Autor: Dieter Korczak, ESOMAR-Präsident 2010-2011, Gründer und Leiter der GP-Forschungsgruppe (Healthcareforschung seit 1985), Herausgeber des Buches „Digitale Heilsversprechen. Zur Ambivalenz von Gesundheit, Algorithmen und Big Data“ (2020)
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