Interview mit Bastian Verdel, BVM „Es geht darum, unseren Beitrag zur erfolgreichen Gestaltung des DIY-Trends zu leisten“

Sollten Verbände den DIY-Trend umarmen oder ihm entgegenwirken? Das gewachsene Interesse an Marktforschung ist zunächst einmal positiv, findet Bastian Verdel, der im BVM-Vorstand für das Weiterbildungsprogramm verantwortlich ist. Zudem erläutert er, welche Hebel bewegt werden sollten, um die Qualität von selbst gemachten Studien und Umfragen zu gewährleisten.

Bastian Verdel, BVM, im Interview

Wie stehen der BVM und seine Mitglieder grundsätzlich dem DIY-Research-Trend gegenüber?

Bastian Verdel: Im BVM sehen wir diesen Trend als eine Entwicklung, die wir grundsätzlich begrüßen, von der wir aber auch glauben, dass wir sie als Verband begleiten sollten. Denn letztlich bedeutet es ja auch, dass viele Menschen anfangen, etwas zu tun, das sie bisher in dieser Form noch nicht getan haben. Da ist Bandbreite sehr groß – von Menschen, die ggf. zum ersten Mal mit Marktforschung in Kontakt kommen bis hin zu erfahrenen Profis, die jetzt nur bestimmte Facetten des Forschungsprozesses selbst übernehmen, wo sie bisher eher die Supervision eines Partners übernommen haben.

Das heißt, hier entsteht ein großer Bedarf für Erfahrungsaustausch und Weiterbildung. Denn letztlich kann dieser Trend und damit auch die Marktforschung nur auf Dauer erfolgreich sein, wenn die Qualität gewährleistet ist.

Sollte der BVM den DIY-Trend umarmen und aktiv auf die Demokratisierung der Umfrageforschung zugehen oder stattdessen dem Trend entgegenwirken?

Bastian Verdel: Letztlich findet hier eine Art Demokratisierung von Marktforschung statt ­– in dem Sinne, dass ein immer größer werdender Kreis von Personen Marktforschung betreibt. Möglich wurde dies, weil der Trend zu mehr Kundenzentrierung zusammen fällt mit den wachsenden Möglichkeiten der Digitalisierung. Dieses gewachsene Interesse ist für die Branche erst einmal sehr erfreulich.

Dass wir diesem Trend nicht entgegenwirken ist, denke ich, insofern klar. Es geht darum, unseren Beitrag zur erfolgreichen Gestaltung des DIY-Trends zu leisten. Natürlich ist es so, dass dieser für das einzelne Mitglied nicht zwangsläufig positiv ist. Schließlich haben wir neben den individuellen Mitgliedern auch 265 kooperative Mitglieder, von denen gut 160 Institute sind, deren Geschäftsmodell gegebenenfalls betroffen ist beziehungsweise sich zumindest wandelt.

Im Großen und Ganzen wächst aber der Bedarf an Marktforschung. Letztlich trägt auch der DIY-Trend dazu bei, dass an immer mehr Stellen zu immer mehr Themen geforscht wird. Auch die Beratung und Unterstützung dieser DIY-Prozesse ist ein Feld, das hier für die Institute neu entstanden ist.

Sie sind beim BVM verantwortlich für das Weiterbildungsprogramm. Die meisten Seminare richten sich inhaltlich und preislich an Profis beziehungsweise Personen, die Profis werden möchten. Wird der BVM zukünftig auch Angebote für Menschen schaffen, die vielleicht nur einmal in Ihrem Leben eine Umfrage machen müssen?

Bastian Verdel: Bei der aktuellen Überarbeitung unseres Seminarprogramms haben wir ein besonderes Augenmerk darauf zu prüfen, an welchen Stellen wir gerade für DIY-Usecases neue Seminare benötigen oder wie vorhandene Seminare ins richtige Licht gesetzt werden können. Auch mit unseren Fachtagungen greifen wir Themen auf, wie zum Beispiel kürzlich die Qualität von Online-Stichproben, die gerade für Menschen, die DIY betreiben, besonders wesentlich sind, um die gewünschte Qualität zu erreichen.

Als BVM unterstützen wir sicherlich in erste Linie professionelle Forschende oder diejenige, die es werden wollen. In Fällen, wo jemand nur einmal eine Umfrage machen möchte, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man holt sich die Expertise von Kollegen oder extern Experten, oder man bedient sich validierter standardisierter Instrumente, bei denen die Qualität im Prinzip vordefiniert ist. Was ich mir aber schon vorstellen kann, ist, dass es in Zukunft Weiterbildungsangebote für Menschen gibt, die gelegentlich forschen, aber primär beispielsweise eine Marketing- oder Produktentwicklungsrolle haben.

Gerade in diesem Bereich sehe ich zumindest in meinen Kundenkreis, dass es immer mehr Unternehmen gibt, die in diesem Sinne kleinere qualitative UX-Projekte durchführen. Der direkte Kontakt zum Endkunden, der hier gesucht wird, ist sehr hilfreich im Sinne der Kundenfokussierung. Auf Dauer können solche Projekte aber auch nur erfolgreich sein, wenn die Handelnden dabei zumindest grob wissen, wie man Fragen stellt und Antworten auswertet, statt einfach nur direkt zu fragen, was man wissen will.

Klagen Institute Ihnen gegenüber darüber, dass Ihnen Umsätze durch den DIY-Trend verloren gehen?

Bastian Verdel: Mir sind da bisher keine großen Klagen zu Ohren gekommen. Ich habe den Eindruck, dass einerseits die Umsätze im klassischen Geschäft weitgehend stabil sind oder auch wachsen. Zugleich gibt es immer mehr Institute, die auch eine DIY- oder DIT-Lösung anbieten. Hier hört man eher, dass auch viel zusätzlich getestet beziehungsweise untersucht wird und dass Kunden, die viel selbst machen, auch viel Beratung nachfragen. Was man hört, sind eher Sorgen um die Qualität und allenfalls Bedenken bezüglich der langfristigen Effekte auf die Nachfrage. Letztlich habe ich hier aber sicherlich auch (noch) keinen kompletten Marktüberblick.

Die Richtlinien und Qualitätsstandards sind als Ordnungsrahmen der Selbstregulierung für alle in der Markt-, Meinungs- und Sozialforschung sowie in der Datenanalytik Tätigen gedacht. Heißt das auch, dass sie nicht für ein Unternehmen gelten, das mittels eines Tools wie Qualtrics oder SurveyMonkey eine Umfrage selbst aufsetzt, sich aber selbst nicht als Institut bezeichnen würde? Wenn die Richtlinien auch hier gelten: Wie können sie den Unternehmen nahegebracht werden?

Bastian Verdel: Grundsätzlich haben sich erst einmal unsere Mitglieder zur Einhaltung der Richtlinien verpflichtet. Mitglieder sind aber im BVM bei weitem nicht nur Institute – von den 265 kooperativen Mitgliedern kommen circa 100 von der Auftraggeberseite. Damit ist der BVM auch heute schon für viele Betriebliche Marktforschende eine wesentliche Anlaufstelle. Das sehen wir auch daran, dass unsere Seminare zu gut 75 Prozent von Betrieblichen Marktforschenden genutzt werden. Darüber hinaus sind die Richtlinien eine Reihe von Hilfsmitteln, und die Qualitätsstandards sind auch für Nicht-Mitglieder auf der BVM-Website abrufbar.

Das Problem ist vielleicht eher, dass nicht alle, die DIY- Marktforschung machen oder machen wollen, sich bewusst sind, dass es entsprechende Informationsangebote gibt.

Gerade für jene Menschen, die sich nicht als Marktforscher bezeichnen, ist es sicherlich weniger naheliegend, sich an den BVM zu wenden – wenn sie den Verband denn überhaupt kennen. An dieser Stelle haben wir sicherlich noch einiges zu tun.

Die Demokratisierung der Forschung hat auch ihre dunklen Seiten. Immer mehr Umfragen überschwemmen den Markt. Gefühlt macht mittlerweile jedes Medienhaus seine eigenen Umfragen. Welche Gefahren sehen Sie in dieser Entwicklung? Wie positioniert man sich als BVM demgegenüber?

Bastian Verdel: Wir unterstützen alle Menschen, die Marktforschung mit Qualitätsanspruch umsetzen möchten, und geben mit unseren Veranstaltungen, Richtlinien und Seminaren eine Orientierung, wie man Qualität erkennen beziehungsweise sie erreichen kann. Letztlich bedeutet es, dass wir unser Angebot bei jenen, die nun DIY-Marktforschung betreiben, noch besser bekannt machen müssen und sicherlich auch an der einen oder anderen Stelle inhaltlich oder auch von der Tonalität her anpassen müssen.

Umfrageforschung, Meinungsforschung, Marktforschung: Für den normalen Bürger sind die Unterschiede kaum erkennbar. Was sollte der BVM dafür tun, dass Marktforschung nicht in den großen Umfragetopf geworfen wird?

Bastian Verdel: Letztlich geht es bei diesem Thema um die Teilnahmebereitschaft der Bürgerinnen und Bürger. Menschen machen heute oft negative Erfahrungen mit Umfragen, weil sie seriöse Marktforschung und Werbeanrufe in einem Topf werfen. Hier arbeiten die Verbände auch weiterhin an einer Differenzierung. Zudem gibt es den Rat der Marktforschung, um zum Beispiel Fälle von Vermischung von Marktforschung und Werbung zu ahnden. So wichtig dies auch ist, ändert dies aber wenig am Eindruck der Bürgerinnen und Bürger. Wobei hier das Problem ist, das wir als Branche gegenwärtig einfach nicht die kommunikative Power zusammenbringen, um hier wirklich einen Mindshift zu schaffen.

Es gibt aber eine Stelle, an der wir alle etwas tun können: Nämlich, indem wir die Befragungsexperience für den Teilnehmenden verbessern. Sodass die Teilnahme an einer Marktforschung dazu motiviert, beim nächsten Mal wieder teilzunehmen oder davon positiv zu berichten.

Da geht es dann zum Beispiel um die Vermeidung zu langer Fragebögen, monotoner Abfragen oder der Vermeidung von scheinbaren Plausibilitätschecks, die Befragte für dumm verkaufen. Letztlich brauchen wir hier als Branche einen ähnlichen Blickwinkel wie unsere Kunden auf ihr Customer Experience Management. In einer der letzten Fachtagungen haben wir dieses Thema andiskutiert, aber hier ist sicherlich auch im Zuge von DIY noch wesentlich mehr Austausch gerade zur Umsetzung von Best Practice im Alltag notwendig.

Der Rat der Marktforschung soll Verstöße gegen Berufsgrundsätze und Standesregeln sanktionieren. Umfasst das auch schlecht gemachte Umfragen mit kruden Samples und Suggestivfragen?

Bastian Verdel: Wie Sie schon in der Frage richtig formulieren, hat der Rat die Aufgabe, Verstöße gegen die Berufsgrundsätze und Standesregeln zu sanktionieren. Diese sind unter anderem auch im ICC/ESOMAR -Kodex niedergelegt. Da heißt es unter Artikel 9a: "Forscher müssen redlich, wahrhaftig und objektiv sein und sicherstellen, dass ihre Forschung im Einklang mit angemessenen wissenschaftlichen Forschungsverfahren, -methoden und -techniken durchgeführt wird."

Krude Samples und Suggestivfragen sind ganz sicher nicht im Einklang mit angemessenen wissenschaftlichen Forschungsverfahren, -methoden und -techniken. Von daher die klare Antwort: Ja, der Rat soll auch gegen solche Qualitätsverstöße vorgehen und tut das auch. Der Rat steht so für Redlichkeit und Qualität in der Markt- und Sozialforschung. Voraussetzung ist aber immer, dass solche Dinge auch zur Anzeige gebracht werden.

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Über die Person

Bastian Verdel ist Mitbegründer und Managing Partner der StraightONE GmbH. Als Experte für das menschliche Verhalten erforscht und berät er mit seinem Team Unternehmen, die Kundenfokus als zentralen Wettbewerbsvorteil nutzen möchten. Durch seinen Hintergrund in Marktforschung liegt ihm nicht nur das Verstehen von Kundenverhalten am Herzen. Viel wichtiger ist ihm, was diese Erkenntnisse für die praktische Umsetzung bedeuten. Zudem ist Verdel seit 2021 Mitglied des BVM-Vorstandes.

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