Nach der WdM Ein neuer Trend in der Marktforschung – DIT/Do-It-Together!?

Full-Service-Ansätze mit breiter Beratung einerseits und DIY-Ansätze andererseits scheinen Zuwachs zu bekommen: DIT, sprich Do-It-Together, manifestierte sich als Trend auf der Woche der Marktforschung. Ein Meinungsbeitrag von Hartmut Scheffler.

Die Woche der Marktforschung hat es geschafft, durch die Vielzahl von Beiträgen über insgesamt fünf Tage ein Kaleidoskop der Methoden- und vor allem auch der Angebotsvielfalt im Bereich der Marktforschung zu liefern. Wer die Gelegenheit hatte, viele der Diskussionsrunden und Vorträge über die fünf Tage miterleben zu dürfen, konnte rote Fäden in der Thematik, den Trends und damit auch in der Entwicklung der Marktforschung entdecken. Einer dieser roten Fäden, erstmals während der WdM von Ipsos postuliert, war DIT/Do-It-Together.

Die Grundidee von DIT 

Um etwas gemeinsam zu tun, braucht es zwei Seiten: hier als Auftragnehmer das Marktforschungsunternehmen und dort als Auftraggeber die Marktforschung oder eine andere Abteilung in Unternehmen. Und was ist dann daran neu, bei Projekten zusammen zu agieren? Sind dies nicht schon immer die zwei Seiten einer Medaille gewesen? Hat man, beziehungsweise musste man, nicht schon immer zusammenarbeiten? 

Wer die Entwicklung der Marktforschung in den letzten Monaten oder Jahren begleitete, konnte ein Auseinanderdriften verschiedener Geschäftsmodelle entdecken. Neben eindeutig auf eine Plattformökonomie ausgerichteten Geschäftsmodellen gab es den ganz klaren Fokus auf Full-Service Anbieter mit breitem Beratungsangebot und -Knowhow auf der einen Seite und immer mehr (oft Start-up basierten) DIY-Angeboten auf der anderen Seite. Es schien sich eine Dichotomie herauszubilden, die zwar defacto nie berührungsfrei und überschneidungsfrei war, im Wording der Anbieter, den Versprechungen, der Kommunikation aber so schien. 

Und nun wird im Vortrag von Ipsos auf der WdM Do-It-Together (DIT) als neues Konzept erläutert und in vielen weiteren Vorträgen in der WdM als Erweiterung des existierenden Geschäftsmodelles oder auch als Neuansatz von vielen anderen Anbietern thematisiert; sowohl aus der klassischen Full-Service Marktforschungsecke als auch aus der DIY–Ecke.

Wächst nun wieder zusammen, was ohnehin zusammengehört? Wächst nun also wieder zusammen, was auseinanderzustreben schien? Es scheint so!  

Zwei Muster sind erkennbar: 

  1. Full-Service Institute nehmen – so vorhanden - ihre standardisierten, ihre automatisierten Tools und bereiten sie als Self-Service, d.h. DIY, bedienbar auf. Das ist nichts Neues und gibt es mindestens seit ca. zehn Jahren. Pars pro Toto sei hier die Plattform Zappi genannt. Diese DIY-fähige Nutzbarkeit der Tools wird nun ergänzt um ein zubuchbares Beratungselement, so dass die Auftraggeber entscheiden können, wie viel selbst verantwortet und umgesetzt werden kann und wie viel ergänzender Beratung es bedarf. Full-Service Anbieter erweitern ihr Beratungsangebot also um ein spezielles, ergänzendes, individuell zubuchbares Beratungsangebot für die eigenen DIY-Angebote.  

  2. Und auf der anderen Seite haben eine Reihe von DIY-Anbietern in ihren Präsentationen mitgeteilt, dass man natürlich über mehr oder weniger viele Consultants verfüge, deren Beratung über die reine DIY-Anwendung hinaus genutzt und gebucht werden kann.  

Hier könnte dieser Artikel eigentlich enden. 

Risiken und Chancen 

Es drängt sich aber unmittelbar die Frage auf, inwieweit dieser nun thematisierte Do-It-Together-Ansatz hilfreich und nützlich ist, inwieweit er aber auch möglicherweise gefährlich sein kann. Was sind Risiken, was Chancen?  

Wie stellen Full-Service Institute, wenn für die eigenen Tools im Sinne von DIT nun Beratung, vielleicht nur ein Minimum von Beratung zugekauft wird, sicher, dass Durchführung und Analyse, aber eben auch Methodenwahl, Untersuchungsanlage und später dann Interpretation und Umsetzung optimal ablaufen? Oder anders formuliert: wie und wo ist ganzheitliches Knowhow vom Problemverständnis bis zur Erkenntnisumsetzung gewährleistet und nicht nur punktuelle Abwicklungsberatung (Stichprobe, Fragestellung, Analyse)?  

Wenigstens etwas Beratung 

Wenn die Auftraggeberseite DIT zubucht, ist es dann vielleicht eine Feigenblattfunktion, um sich selbst gegenüber oder den internen Auftraggebern im Unternehmen gegenüber sagen zu können, dass man externe Beratung in Anspruch genommen habe. Auch wenn dies nur für einzelne Phasen des gesamten (Forschung –) Prozesses der Fall war, auch wenn so keine Gesamtberatung vom Verstehen des Marktforschungsproblems über die optimale Operationalisierung, die angemessene Umsetzung und Durchführung bis hin zur bestmöglichen Analyse, Interpretation und Umsetzung stattfand? Eine – empirisch nicht gestützte – These des Autors: es wird häufig nur so viel Beratung zugekauft werden, wie unbedingt für die Durchführung notwendig und nicht so viel, wie für eine bestmögliche Abwicklung sinnvoll gewesen wäre. Der Beratungsbegriff kann und könnte so eine gefährliche Konnotation gewinnen, könnte erodieren. 

Wie kann dieser Gefahr begegnet werden? Wohl am ehesten, indem in einem solchen Fall das beratende Marktforschungsunternehmen erkennen muss, wann die nachgefragte Beratungsleistung eventuell nicht ausreicht und zusätzliche Beratungsleistung angeboten, empfohlen und verkauft werden muss. Es gilt zu hoffen, dass dieses Verständnis eines flexibel-iterativen Vorgehens auf beiden Seiten im DIT gegeben ist: also das Verständnis, gegebenenfalls klein anzufangen, aber dem situativen Bedarf entsprechend aufzustocken.  

So angelegt, wäre DIT flexibel, problemadäquat und eine für beide Seiten gute Vorgehensweise. Erst die Realität wird zeigen, inwieweit hier das Risiko oder die Chance überwiegen. Wie oft werden in der Praxis wirklich zusätzlich Berater eingesetzt? Wie oft wird komplette Beratungsleistung nachgefragt?  Wie oft gibt es eine Beschränkung auf das absolut notwendigste?

Ersten „Anschauungsunterricht“ liefert in der Praxis der CX-Bereich, wo Anbieter technischer Plattformen und Lösungen (zum Beispiel Qualtrics) mit beratungsstarken Marktforschungsunternehmen zusammenkommen (bzw. in dieser Kombination von Kundenseite gebucht werden): im Idealfall ein klassisches DIT.  

Schrittweiser Einkauf 

Für die zukünftige Rolle der Marktforschung wird viel davon abhängen, ob DIT eine Feigenblattfunktion und/oder reine Kosteneinsparfunktion erhält oder ob die flexiblen, themen- und problemadäquaten Lösungsmöglichkeiten dieses Ansatzes zum Tragen kommen. 

Damit ist man unzweifelhaft beim größten Vorteil dieses Ansatzes: beim Einkauf von Beratungsleistung wird es möglich, in kleinen Schritten und iterativ vorzugehen (ohne hohe Kostenrisiken einzugehen) und bei Bedarf entsprechend aufzustocken und komplette Beratungsleistungen einzukaufen. DIT wird dann in der Marktforschung mit ganz eigenständigem Profil eine wichtige Ergänzung neben beratungsinkludierendem Fall-Service einerseits und reiner DIY-Leistung andererseits sein können. (Nicht unterschlagen werden soll hier auch der von Happy Thinking People ganz altruistisch genannte Aspekt, durch DIT Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.)

Voraussetzungsfrei ist das Gelingen dieses Ansatzes aber natürlich nicht. Neben der Qualität auf Beratungsseite geht es auch auf Nachfrageseite um Können, um Verständnis für wichtige Qualitäts- und Erfolgskriterien. Und es geht darum, ein klares Verständnis von möglicher Beratungsbreite, von der angebotenen Beratungsleistung wie von der nachgefragten Beratungsleistung zu haben. Die Woche der Marktforschung hat in einem zweiten roten Faden sehr schön die enorme Heterogenität im Verständnis und Inhalt des Beratungsbegriffes und der Beratungsleistungen gezeigt. Beim DIT kommt es sehr darauf an, dass Anbieter und Nachfrager von einem ähnlichen Verständnis und ähnlicher Erwartung einerseits und entsprechender Leistungsfähigkeit andererseits ausgehen. 

Fazit 

DIT kann eine sehr gute Weiterentwicklung der Marktforschungslandschaft sein, wenn die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dann führt diese Idee zu einem Zusammenwachsen der scheinbar auseinanderstrebenden Branchen in DIY hier und beratungsinkludierendem Full-Service dort. Dann erhöht sich durch DIT die Angebotsbandbreite der Marktforschungsanbieter einerseits, es erhöhen sich die Auswahlmöglichkeiten und Optionen auf Kundenseite andererseits. Die weitere Entwicklung, die nächsten Jahre werden interessant werden!

Über Hartmut Scheffler

Hartmut Scheffler ist Diplom Soziologe und Stadt –, Raum – und Regionalplaner. Von 1980 an in der Marktforschung tätig, seit 1990 bis 2020 Geschäftsführer des Emnid Institutes Bielefeld, später TNS Emnid, dann TNS Infratest, Kantar TNS, Kantar Deutschland. Mitglied in verschiedenen Beiräten und Branchenverbänden, unter anderem BVM (dort 2009 als Forscherpersönlichkeit des Jahres geehrt). Von 2005-2017 Vorstandsvorsitzender des ADM (Wirtschaftsverband der privatwirtschaftlichen Markt – und Sozialforschungsinstitut in Deutschland). Seit Juli 2020 im Ruhestand, seit Januar 2021 freiberuflicher Berater für Marktforschung und Markenführung.

 

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