Kolumne von Dr. Johannes Kirsch Wo beginnt man am besten mit der Digitalisierung des Kundendialogs?

Die KFZ-Versicherung fährt bei jeder Reise mit dem Auto mit. (Bild: picture alliance / Westend61 | Stefan Schütz)
Die Digitalisierung des Kundendialoges von Dienstleistern hat längst begonnen, aber sie ist bisher nicht konsequent durchdacht worden. Nicht alle Medien sind mit einbezogen, und damit auch nicht alle Etappen der Kundenreise durch die Vertragslaufzeit hindurch. Die Produzenten leben noch in ihren klassischen Abteilungsstrukturen.
Die strukturell „abgeteilten“ Unternehmenssilos arbeiten fast autonom nebeneinanderher: Marketing betreut das technisch hochgerüstete Internetportal, die Korrespondenz wird händisch über ein „DMS“ System gesteuert, und schließlich hat man den telefonischen Kontakt ausgelagert. Da kann die "Rechte kaum wissen, was die Linke tut“.
Im Kundenkontakt erzeugen Dienstleister Bindung
Dienstleister leben von einem vertrauensvollen Kundenkontakt. Anders als in der Welt der Produkte werden Dienstleistungen über einen Zeitraum gewährt. Man bucht sie: Bandbreite fürs Internet, Kontokorrentkredit für das Girokonto, telefonieren ins außereuropäische Ausland. Mit dem Auto geht man zwar gefühlt auf die Reise, die KFZ-Versicherung fährt unbemerkt mit. Und darauf muss man sich auf jeder Reise verlassen können.
Auf der gemeinsamen Reise kann viel passieren: Gewolltes und ungewolltes. Wer umzieht, muss das seinem Energieversorger mitteilen, denn der Stromzähler zieht nicht mit um. Wer einen Unfall mit dem Auto hat, muss sich darauf verlassen, dass der Schaden ordentlich und möglichst komfortabel reguliert wird. Und wer kein Geld aus dem Geldautomaten bekommt, nun ja, das kann viele Gründe haben.
Was auch immer der Anlass für den Dialog ist, es besteht Kontaktbedarf.
Das Erlebnis während der Kontakte ist entscheidend für die Fortführung der Beziehung: Misstrauen und Unzufriedenheit wächst einerseits. Oder die Bindung wird durch gute Kommunikation andererseits weiter vertieft.
Denken muss vom Vorrang des Kunden her geschehen
Die Forderung radikal vom Vorrang des Kunden her in die Organisation hineinzudenken, ist nicht neu. Allerdings erleben wir es noch zu oft, dass der Kunde im Vordergrund und damit leider im Weg steht.
Die Mitarbeiter im „Dienst am Kunden“ sind all zu oft eher mit komplexen gegebenenfalls undurchsichtigen internen Prozessen beschäftigt und haben kein „Ohr für den Kunden“.
Kompliziert sind die internen Prozesse, weil sie oft nicht einheitlich, ganzheitlich gestaltet werden: Marketing designt Offerten, die der Kundenservice nicht rechnen kann, im Internet werden Tarife genannt, die der Agent am Telefon nicht kennt und schließlich wird dann noch zu einem Vorgang eine E-Mail gesendet, der schon seit einiger Zeit erledigt ist. Doppelarbeit kostet nicht nur Geld, sondern auch in erheblichem Maße Vertrauen.
Die Digitalisierung beginnt nicht mit dem Prozessdesign
Die seit geraumer Zeit in Gang gebrachte Digitalisierung hat das Chaos eher verstärkt. Deshalb meine Forderung: Hören Sie auf, in den Prozessen hier und da etwas zu verbessern. Verschaffen Sie sich zunächst einmal einen Überblick über alle Erlebnisse, die Sie mit Ihren Kunden auf den einzelnen Etappen der Erlebnisreise während der Vertragslaufzeit haben werden. Gestalten Sie diese aktiv und bewusst.
Erst wenn Sie die Reise für Ihren Kunden komponiert haben, wenn Sie alle Etappen verstanden haben, wenn Sie wissen, welches Kontaktmedium zu welchem Anlass bevorzugt wird, erst dann beginnt die Arbeit an den Prozessen.
Zuerst gilt es, die Ziele für die Reise zu bestimmen. Aus der Perspektive des Kundendialoges gilt es dann, die Prozesse in die inneren Verwaltungsabläufe hineinzugestalten.
Kundenverstehen durch Zuhören
Die Analyse der Kontaktanlässe und der mit ihnen direkt verbundenen Arbeits- und Organisationsprozesse steht am Anfang von allem. Dazu müssen wir niemanden befragen, denn die Antworten liegen uns bereits vor. Jedes Jahr gibt es eine oft große Anzahl an realen Kontakten. Über alle Kanäle - oft sehr redundant - platzieren Kunden (allzu oft verzweifelnd) ihre Anliegen.
Warum das so ist, warum die aktuelle Organisation es nicht schafft, den Kunden „barrierefrei“ zu bedienen, ihm zu dienen und „Gehör“ zu schenken, das gilt es zu verstehen.
Die Bestandsanalyse muss zunächst die Gründe finden, die eine schnelle, korrekte, allzeit kompetente Bearbeitung der Kundenanliegen behindert. Wenn Sie nicht wissen, warum der Kunde all die wunderbaren "Selfservice-Internet-Anwendungen", die Sie erschaffen haben, nicht nutzt, hören Sie ihm zu und lassen Sie Ihre Agenten in der konkreten Situation, in der der Kunde sein Anliegen platziert, nachfragen.
Die zuzurechnenden Anlässe sind endlich, sonst wären die Arbeitsprozesse nicht beschreibbar. Also sollten wir mit der Analyse dessen beginnen, was wir von unseren Kunden schon „zu hören“ bekommen haben.
Zuhören und verstehen bedeutet auch zu lernen, was von all den Anlässen die größte Irritation auslöst, und dadurch für die Bindung und das Vertrauen die größte Bedrohung darstellt. Damit sollten wir anfangen. Wenn dann die Prozesse designt werden, dann müssen wir darauf achten, dass wir alle Medien der Kommunikation des Kundendialoges miteinbeziehen. Sonst generieren wir weiterhin die jedem Vertrauensaufbau hinderlichen Brüche auf den Etappen der Kundenreise.
Eine Dienstleistungsbeziehung ist auf Dauer ausgerichtet
Stellen Sie sich einen Markplatz vor: Man schlendert von Stand zu Stand und irgendwann bleibt man stehen und kauft. Jetzt ist man vom Markplatz in den Laden eingetreten; jetzt beginnt der Kundendialog. Kaufen Sie im Laden eine Dienstleistung, so endet der Dialog nicht, wenn Sie den Laden verlassen; virtuell bleiben Sie ihm verbunden.
Die Beziehung zwischen dem Nutzer und demjenigen, der eine Dienstleistung bereitstellt, ist von Dauer, entsprechend wichtig ist es, die Beziehung zu verstehen, um sie gestalten zu können.
Der Kunde wird oft genug von sich aus den Kontakt aufnehmen und deshalb ist es wichtig, zu wissen, wie sie all die Etappen auf dem Weg der Reise während der Vertragslaufzeit gestalten, damit er sich dabei wohlfühlt.
Zur Marktforschung muss die Kundenforschung folgerichtig hinzutreten. Die Frage, ob sich der Kunde im Laden befindet oder ob er noch vor der Entscheidung steht, den Laden zu betreten, macht in der Kommunikation mit dem Kunden einen großen Unterschied. Durch kontinuierliches Beobachten und analysierendes Zuhören können wir herausfinden, was wir in jeder Etappe der Reise tun müssen, um Erlebnisse so zu gestalten, dass sie wirksam die Bindung langfristig zu Kunden stärken. Dienstleister leben von einer langen Vertragslaufzeit, „Reisedauer“, also einer guten Kundenbindung.
Über die Person
Dr. Johannes Kirsch studierte Soziologie und ist in einem Strukturvertrieb für Versicherungen ins Berufsleben gestartet. Ebenfalls bei einem Versicherer baute er die Marktforschung vertriebsnah mit auf und wechselte in den Direktvertrieb. Heute arbeitet er als Berater für Inhouse wie Outsourcing-Partner Kundenservicecenter. Sein Schwerpunkt war und ist in allen Funktionen die Entwicklung und Erhaltung von Kundenbindung und die prozessorientierte Qualitätssteuerung im Kundendialog.
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