- marktforschung.de
- CX
- Ein Mythos: Eine bessere Qualität im Kundenservice kostet Geld - das Gegenteil wäre richtig
Kolumne von Dr. Johannes Kirsch Ein Mythos: Eine bessere Qualität im Kundenservice kostet Geld - das Gegenteil wäre richtig

Ein Produkt ist etwas, das man anfassen kann, das man zur Hand nimmt, um etwas zu erreichen: Ein Auto nutzt man, um ein Ziel zu erreichen. (Bild: picture alliance / Everett Collection | ©MGM/Courtesy Everett Collection
Toyota erfand „Kaizen“, den ständigen Verbesserungsprozess und setzte damit Maßstäbe für die Sicherung der Qualität im Produktionsprozess von Autos. Die Methoden zur Steuerung und Sicherung der Qualität während des Herstellungsprozesses von Gebrauchsgegenständen wurden zum gängigen „Industriestandard“.
Bei Gebrauchsgütern wuchs die Qualität und der Preis sank, Dienstleistungen sind auch preiswerter geworden, doch ihre Qualität ist eher mitgesunken. Die Fehlertoleranz war und ist erheblich: Fehlerhafte bis falsche Auskünfte, lückenhafte, unvollständige Dokumentationen und fehlende kanalübergreifende Informationen über den Kunden bestimmen leider die Tagesordnung.
Weit und breit ist kein „Toyota“ in Sicht. Es ist an der Zeit, sich analog der Industrie um einen entsprechende Qualitätsstandard zu bemühen.
Die zunehmende Digitalisierung zwingt nun geradewegs dazu, die Qualität auch der Dienstleistungen auf ein „Industrieniveau“ zu heben. Das ist sicher kein trivialer Vorgang, denn es sind Kommunikationsprozesse, die „fehlerfrei“ gestaltet werden müssen.
Auf die Prozessqualität kommt es an
Ein Produkt ist etwas, das man anfassen kann, das man zur Hand nimmt, um etwas zu erreichen: Ein Auto, um ein Ziel zu erreichen, eine Kaffeemaschine, um Kaffee zuzubereiten. Dienstleistungen bucht man für einen Zeitraum; man nutzt sie, ohne dass man physisch etwas besitzt. Services begleiten einen in der Zeit, man nimmt sie buchstäblich mit auf die Reise: das Auto benutzt man, um voranzukommen und die Versicherung begleitet einen auf der Reise, immer wieder, solange man sie gebucht hat.
Oft bemerkt man Services, die man gebucht hat und derer man sich Tag ein Tag aus bedient, erst, wenn sie nicht zur Verfügung stehen: Das Telefon oder Internet funktioniert nicht, der Bankautomat gibt kein Geld heraus. Ein Erlebnis, das sich niemand wünscht.
Auch Produkte können schadhaft sein, kaputt gehen. Dafür gibt es den Kundendienst, die Werkstatt. Sie werden gegebenenfalls zurückgegeben oder der Hersteller muss zeitnah eine Reparatur durchführen; der Umgang mit Qualitätsmängeln ist gesetzlich geregelt. Die Industrie hat aus ihren Fehlern gelernt: Es sind die Herstellungsprozesse, die maximal so gesteuert werden müssen, dass keine Reparaturen notwendig werden. Jeglicher Mangel an Produktqualität kostet Geld und Reputation (denken Sie an „Stiftung Warentest“ oder die „Pannenstatistik“, da will niemand oben stehen).
Dienstleister haben diesen Lernprozess noch vor sich: Funktioniert ein Dienst, ein gebuchter Service nicht, kann man sich im Kundenservice melden und den Fehler anzeigen. Ein Recht auf Wandlung und Rückgabe bereits gezahlten Beiträge gibt es nicht. Prozess- und Organisationsversagen werden hingenommen: „Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler“ ist eine oft gehörte Entschuldigung. Meines Erachtens nach wissen viele Dienstleister gar nicht – bitte überzeugen Sie mich vom Gegenteil und kommentieren Sie fleißig – welche Prozesse den Kunden die größten Probleme machen. Sie haben keine Vorstellung davon, welche Prozesse ihre Kunden am meisten stören, weil so viele Fehler passieren.
Es lohnt sich - analog zur Erfahrung der Industrie - mit den „Produktionsprozessen“ zu beginnen, um die Qualität der Leistungen zu verbessern.
Erste und wichtigste Priorität müsste sein: „Null-Fehler-Toleranz“. Denn: Kein Fehler, kein Kontakt, keine Kosten. Wichtig wäre es also, zunächst die Prozesse zu identifizieren, die am fehleranfälligsten sind und die eine hohe „wertvernichtende“ Kontaktfrequenz verursachen.
Die Qualität im Kundendialog
Produkte kauft man einmal und dann stehen sie zur Nutzung zur Verfügung. Dienstleistungen stehen während eines Buchungszeitraumes zur Verfügung: Energie, Telefon, Bankkonto. Während dieser gemeinsamen Reise gibt es vielfältige aktive wie passive Kontaktmöglichkeiten: Ein gebuchter Service fällt aus, ist da nur eine Möglichkeit. Weil ein Service für einen Zeitraum gebucht wird, kann es auch passieren, dass der Kunde Änderungen anzeigen muss: Er hat ein neues Auto gekauft, braucht mehr Geschwindigkeit und Bandbreite im Internet, hat seine Bankverbindung geändert oder ist umgezogen. Alles zwingend erforderliche Momente für eine Kontaktaufnahme.
Die Digitalisierung bewirkt Qualität und Preisvorteil
Mit der Digitalisierung der Prozesse hin zum Kunden, also am „Point of Contact“ (POC) muss sich das aktuelle „Fehlerbewusstsein“ deutlich wandeln. Die digitalisierten Prozesse müssen stimmig und fehlerfrei ablaufen. Das gilt für alle Kanäle, die man hin zum Kunden organisiert hat. Soll der Kundendialog: vom Onlineportal über Telefon und Mail mit „fehlerfreier“ Qualität ablaufen, dann muss man alle Arbeitsprozesse egal über welches Medium sie angesteuert werden, beherrschen.
Je automatisierter die „Herstellungsprozesse“, das heißt die Dokumentation dessen, was der Kunde an Services bucht, ablaufen sollen, desto genauer müssen sie beschrieben werden.
Gefragt sind Richtlinien, definierte Vorgehens- Arbeitsprozesse für den Dialog und für die Dokumentation der Wünsche und neuen Gegebenheiten des Kunden. Wären diese Prozesse der Kommunikation präzise definiert, wäre der Weg in die Digitalisierung ein Selbstläufer.
Dem Internetportal gehört nur dann die Zukunft, wenn wir wissen, wie genau wir alle Prozesse im Kundenkontakt so gestalten, dass sie zu den Wünschen und Fähigkeiten unserer Kunden passen. „Selfservice“ war schon in den 60iger Jahren eine Erfindung, die sich modern gab und dem Kunden die Arbeitsleistung übertrug: Der Tankwart entfiel, der Kaufmann verschwand hinter der Theke und jetzt versuchen auch die Anbieter von Services den Kunden dazu zu bringen, sich selbst zu bedienen.
Aktuell funktioniert das nur sehr bedingt: Die Drei Hauptkanale: Internet, Mail und Telefon sind nicht ordentlich verzahnt, man weiß nicht so genau, wie oft und warum Kunden welche Kanäle benutzen. Das ist die wichtigste Herausforderung, sollen Prozesse fehlerfrei in toto (!) ablaufen. Dann muss die „Rechte immer wissen, was die Linke tut“.
Erst zuhören, dann Prozesse ständig verbessern
„Miss es, oder vergiss es“, so lautet eine Regel aus dem Lean-Management, einer Methode, um einen ständigen Verbesserungsprozess zu installieren: Das Toyota-Prinzip. Mit der Herstellung von Messbarkeit müssen wir im Dienstleistungssektor beginnen.
Anders als das Produkt entsteht die Dienstleistung immer in Zusammenarbeit, im Kontakt mit dem Kunden.
Wir brauchen ihn, um mit ihm gemeinsam den Umfang und die „Konditionen“ der Services festzulegen. Diesen Dialog zwischen Kunden und Leistungs-Serviceanbieter, egal über welchen Kontakt er sich ereignet – leider können wir ja hier nicht von wirklich standardisiert gesteuerten Prozessen reden - müssen wir messbar machen, weil wir ihn qualitativ absichern und steuern müssen. Mithin müssen wir alle verfügbaren Daten aus dem Kundenkontakt in ein einheitliches, weil auswertbares Format zusammenführen. So erst bekommen wir eine tragfähige Basis, auf der wir unsere Verbesserungsprozesse aufsetzen können.
Die Qualität, also der fehlerfreie Herstellungsprozess für die Serviceleistung bestimmt den Preis.
Preiswert arbeitet, wer Fehler vermeidet, wer sie nicht toleriert. Wer das schafft, der hat das „Toyotaprinzip“ erfolgreich eingeführt und wird im Wettbewerb sicher sehr gut positioniert sein, denn er produziert kosteneffizienter als seine Konkurrenten. Die Beachtung von eindeutigen Qualitätsstandards bei der Erstellung und Erbringen von Dienstleistungen schafft – analog zu den Erfahrungen in der Produktion von Gütern - klare Preisvorteile. Ein Mangel an Qualität im Management, der Organisation von Dienstleistungen, Services kostet Geld, Vertrauen in die Zuverlässigkeit des gewählten „Service-Reise-Partners“.
Über die Person
Dr. Johannes Kirsch studierte Soziologie und ist in einem Strukturvertrieb für Versicherungen ins Berufsleben gestartet. Ebenfalls bei einem Versicherer baute er die Marktforschung vertriebsnah mit auf und wechselte in den Direktvertrieb. Heute arbeitet er als Berater für Inhouse wie Outsourcing-Partner Kundenservicecenter. Sein Schwerpunkt war und ist in allen Funktionen die Entwicklung und Erhaltung von Kundenbindung und die prozessorientierte Qualitätssteuerung im Kundendialog.
Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden