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Kolumne von Dr. Johannes Kirsch „Best Service is no Service“ sagt Bill Price – aber was gilt, wenn man Service verkauft?

Oft werden sich Kunden eines gekauften Services erst bewusst, wenn dieser nicht mehr gegeben ist. Zum Beispiel wenn ein Geldautomat kein Geld mehr herausgibt. (Bild: picture alliance / Keystone | Jochen Zick)
„Der beste Service ist kein Service.“ Diese These stammt nicht von irgendeinem Ignoranten, sondern von jenem Mann, der beim Online-Buchhändler Amazon den Kundenservice revolutionierte: Bill Price. Was aber, wenn man Services verkauft? Man darf eine Beschwerdehotline nicht mit einem Service verwechseln!
Price schreibt: „Der durchschnittliche Kunde hat einfach keine Lust, seine Bank anzurufen oder seinem Online-Händler eine E-Mail zu schicken, wenn eine von ihm in Anspruch genommene Sachleistung weiterer Erklärungen bedarf oder Defizite aufweist. Stattdessen sollte alles von Anfang an klar strukturiert und problemlos verlaufen“[1], so seine Analyse der Servicewünsche auf Kundenseite. Sind Bankleistungen Sachleistungen?
Vom Unterschied: Leistungs-/Service- vs. Produktversprechen
Services sind Leistungen, die ähnlich wie Produkte verkauft werden. Ähnlich, weil sie erklärt werden müssen, sie keine eigenständige Präsenz zeigen. Banken bieten ihren Kunden ein Konto und additiv dazu diverse Services für dessen Nutzung: Gebührenfreies Geldabheben überall auf der Welt an allen Bankautomaten, Kontokorrent zu geringen Zinsen und so weiter. Der Service eines Online-Händlers besteht darin, eine Plattform zur Präsentation und zum Kauf von Produkten anzubieten. Gekauft wird ein Hemd und wenn das Kauferlebnis gelungen war, dann kommt der Käufer gegebenenfalls wieder und kauft dann vielleicht ein Buch.
Ein Bankkonto steht zur Verfügung, solange man sich vertraglich an die Bank bindet. Ein Bankkonto erlebt man nicht. Erst wenn beim Geldabheben etwas Unerwartetes passiert, dann erlebt man den Vorgang „Geldabheben“.
Der Unterschied zwischen dem Kauf eines Produktes und einer Dienstleistung besteht darin, dass ein „Service“ ein Leistungsversprechen über einen Zeitraum hinweg beinhaltet: Der Kaufakt betrifft einen Zeitraum nicht einen Zeitpunkt.
Bei einer Bank werden keine Bücher gekauft, sondern ein mit einer Laufzeit versehenes Versprechen auf eine Leistung: Haben/Sollzinsen oder ein Dispositionsrahmen. Die Beziehung ist weniger anschaulich als die zu einem Online-Händler. Mithin ist der mögliche „Erlebnishorizont“ ein anderer.
Ein Serviceversprechen braucht den Dialog
Während der „Reisezeit“, der Vertragslaufzeit werden die gebuchten Services immer wieder in Anspruch genommen. Möchte der Kunde einen Service abrufen – „bestellen“ – so muss er selbst aktiv werden: Einen Kredit beantragen, einen Dauerauftrag löschen etcetera. Im Laufe der Zeit – dem Zeitraum – gibt es mithin viele sehr unterschiedliche Möglichkeiten des Erlebens: Der Zeitraum schafft die Möglichkeiten der Begegnung, gewollte wie ungewollte.
Kunden/Mandanten/Patienten müssen vertrauen, denn sie können weder sehen noch anfassen, was sie gekauft haben. Das ist auch der Grund, warum jede Information vertrauensstärkend oder -schwächend/ irritierend wirken kann. Auch wird gerne das, was anderen passiert ist, auf die eigene Situation bezogen: „Kann mir das auch passieren. Wie ist meine Bank aufgestellt? Gibt es vielleicht doch bessere Alternativen?“
Externe wie interne Ereignisse steuern das Erleben unserer Kunden. Oft ist es auch die öffentliche Diskussion, die die Stimmung der Kunden lenkt. Das nächste persönliche Kontakterlebnis steht dann gegebenenfalls unter dem Eindruck einer öffentlichen Debatte.
Alle Erlebnisse während der Reisezeit zahlen auf das Vertrauen und die Bindungsfähigkeit des Kunden ein.
Deshalb, um Herr der Kundenstimmung zu bleiben, ist es wichtig, selbst das Steuer in der Hand zu halten.
„Best Service“ braucht Vertrauen und schafft Bindung
Wann immer sich etwas ereignet, was das Vertrauen und damit die Bindung des Kunden irritieren könnte, sollte unsere Bank prospektiv Maßnahmen ergreifen, die geeignet sind, das benötigte gegenseitige Vertrauen zu „restituieren“. Der Kunde braucht Vertrauensbeweise, immer mal wieder!
Gerade dann, wenn im Kontakt etwas schief gegangen ist, braucht es einen Kundendialog, der geeignet ist, dem Kunden ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit zurückzugeben.
Der Geldautomat hat kein Geld ausgegeben, die neue Kreditkarte ist immer noch nicht im Briefkasten, gerade jetzt braucht der Kunde Zuwendung: Ob per mail Brief oder direkt am Telefon, es muss Maßnahmen und Instrument geben, die möglichst schon proaktiv helfen, Zufriedenheit und Vertrauen immer wieder zu versichern.
Noch besser wäre es allerdings, unsere Bank könnte ganz und gar solche Erlebnisse vermeiden. Schon im unmittelbaren Kundenalltag, nämlich aus all den kleinen und großen Irritationen heraus, könnten die Prozessverantwortlichen lernen, was getan werden müsste, um unnötige negative Erlebnisse zu vermeiden
Marktforscher können helfen, wenn sie im Kundendialog zuzuhören, statt zu spät zu fragen
Oft habe ich den Eindruck, Marktforscher sind mit Pathologen vergleichbar: Sie wissen alles, leider immer zu spät.
Wir haben heute die Möglichkeit, direkt am Ort des Kontaktes mitzulesen beziehungsweise mitzuhören. Wir müssen nicht warten, bis „alle Kunden im Brunnen liegen“.
Im Kontakt mit seinem Dienstleister erzählt der Kunde selbst, was ihn wirklich stört, womit er nicht zufrieden ist. Indem wir genau zuhören, können wir lernen, gute Antworten auf die Fragen unserer Kunden zu finden. Wir analysieren die echten Erlebnisse und agieren zeitnah.
Wenn wir schnell sind mit der Kontaktanalyse, wenn wir montags morgens genau zu hören, dann sollte es uns möglich sein, schon mittags passende Antworten präsentieren zu können: Wirksam im Kundendialog zu sprechen. Es ist möglich, den gesamten Kontaktinhalt – egal aus welchem Medium – in einem einheitlichen Format zu untersuchen. Alle Inhalte – auch die mündlichen – liegen als Transskript vor. Schnell könnten wir geeignete Maßnahmen entwickeln, die helfen, das Erleben im Kundenkontakt zu steuern. Wenn wir so verfahren, dann „fallen nicht mehr so viele Kunden in den Brunnen“.
Aus der direkten Analyse des Kunden-Erlebens können wir in die aktive Steuerung jedes einzelnen Kontaktes kommen und „Best Service“ leisten.
Wir können fast in Echtzeit die Kontaktanlässe und die damit verbundenen Konnotationen erfassen und bewerten. Die Analyse der Texte führt sofort zu sprachwirksamen Maßnahmen, die uns helfen, Bindung jederzeit immer wieder zu restituieren.
Die Technik ist gegeben. Nur: Leider überlassen wir die Möglichkeiten, die die Technik bietet, um die Stimmung unserer Kunden zu verstehen, den auf Freundlichkeit gedrillten Stimmen der „Serviceagenten“. Freundlichkeit aber ist nicht „des Pudels Kern“ für „Best Service“ bei der Gestaltung von Dienstleistungen, es sind vielmehr die „stimmigen“ Prozesse, die fehlerfrei ablaufen und den Kunden nie „im Regen stehen lassen“.
[1] https://www.computerwoche.de/a/der-beste-service-ist-kein-service,1868255; eigene Übersetzung, S.8
Über die Person
Dr. Johannes Kirsch studierte Soziologie und ist in einem Strukturvertrieb für Versicherungen ins Berufsleben gestartet. Ebenfalls bei einem Versicherer baute er die Marktforschung vertriebsnah mit auf und wechselte in den Direktvertrieb. Heute arbeitet er als Berater für Inhouse wie Outsourcing-Partner Kundenservicecenter. Sein Schwerpunkt war und ist in allen Funktionen die Entwicklung und Erhaltung von Kundenbindung und die prozessorientierte Qualitätssteuerung im Kundendialog.
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