Kolumne von Dr. Johannes Kirsch Besser noch als das Fragen ist das Zuhören auf der Customer Journey

Auf der Kunden-Erlebnis-Reise sollten Unternehmen nicht nur Fragen stellen. Auf der gemeinsamen Reise lohnt es sich vor allem zuzuhören, weiß Dr. Johannes Kirsch, Experte in Sachen Kundenbindung.

Die Customer Journey ist ähnlich einer gemeinsamen Reise:  Dienstleister und Kunde machen sich gemeinsam auf den Weg.  (Bild: picture alliance / imageBROKER | Norbert Eisele-Hein)

Produkte kann man anfassen, sehen und aus ihrer Gestalt ihren Nutzen erschließen. Dienstleistungen kann man buchen, hören und über die Zeit ihren Nutzen erleben. Ein Produkt erlebt man im Gebrauch. Kunden benutzen ein Auto, um sich fortzubewegen. Sie erfreuen sich am mitgegebenen Status und genießen unter Umständen die Anmutung des Designs. Dienstleistungen, also gebuchte Services, erlebt man am intensivsten, wenn sie nicht funktionieren. Der Bankautomat will kein Geld ausspucken, das Internet funktioniert nur sehr langsam, oder die Versicherung erklärt sich für nicht zuständig und verweigert die Leistung.

Im Vertragsalltag erlebt der Kunde die gebuchten Leistungen

Im Produktmarketing können Unternehmen den Kunden fragen, was er erleben will oder was er bereits erlebt hat, wenn er ein bestimmtes Produkt gekauft hat. Wenn er etwas kaufen will, betritt er einen gegebenenfalls auch virtuellen Shop, kauft ein und verlässt dann den Laden. Kauft er eine Dienstleistung, verlässt er auch den Laden. Andererseits verweilt der Kunde mit dem Kauf im „Laden“.

Denn im Vertragsalltag erlebt der Kunde die gebuchten Leistungen.

Gemeinsame Reise

Die Nutzung der Services bleibt an den Leistungsgeber gebunden.  Es ist eine gemeinsame Reise, auf die sich Dienstleister und Kunde begeben. Im Laufe dieses Zusammenlebens gibt es oft Gesprächsbedarf. Leider ist das Gespräch viel zu oft unerbaulich. Denn es hat meist seinen Ursprung im Leistungsmangel.

„Best Service is no Service“

„Best Service is no Service“ schrieb der ehemals für den Aufbau des Kundenservice bei Amazon Verantwortliche, Jeff Price. Ein gebuchter Service braucht keinen „außerplanmäßigen“ Kontakt, schrieb er. Notwendig wird ein Kontakt, entweder weil sich im Laufe der Customer Journey etwas verändert hat, was der Kunde dann mitteilen muss: Mehr Kontokorrent, mehr Bandbreite oder einfach eine neue Adresse oder Bankverbindung. Oder, weil etwas nicht funktioniert oder der Kunde etwas nicht versteht. Keine Banknoten aus dem Automaten, kein Internet oder bei der falschen Bank abgebucht.

Im „Reisealltag“ erlebt der Kunde seinen Service-Partner

Im Kundendialog erlebt der Kunde den Vertragsalltag. In jedem Kontakt erfährt er aufs Neue, wie gut seine Entscheidung war beziehungsweise immer noch ist. Jeder Kontakt – ob direkt oder indirekt – zahlt auf das vereinbart Versprochene ein.

Es kommt auf jedes Erlebnis an.

Im „Reisealltag“ erlebt der Kunde seinen Service-Partner. Jede Nachricht, jede Mittelung reflektiert seine Entscheidung: „Kann mir das auch passieren? Habe ich den richtigen Leistungsgeber ausgesucht? Hält er sich an das, was er mir versprochen hat? Soll ich doch lieber mal nachfragen?“

Der Kundendialog darf nicht dem Kundenservice überlassen werden

Es war ein Fehler, den Kundendialog sich selbst zu überlassen. Er wurde outgesourct, in den Billiglohnsektor abgeschoben, die Verantwortung für ihn wurde wegdelegiert. Fortan besteht das ganze Interesse daran: Kosten zu reduzieren. Unternehmen sind bestrebt, aus dem lästigen „Costcenter“ endlich ein „Profitcenter“ zu machen. Alles, was dort verlangt wird, ist, dass das Kundenservicecenter (früher hieß das einfach „Callcenter“) freundlich und hilfsbereit ist und auf jeden Fall weitere Produkte verkauft (das nennt man dann „Cross-Selling“ und es generiert Provision, „Profit“). 

„Gemessenen Werte bleiben ein Mysterium“

Über die gemessenen Zufriedenheitswerte: den NPS oder CAST lassen wir uns dann berichten. Mit den gemessenen Werten verprügeln wir anschließend die schlechtbezahlten „Call-Agents“. Die gemessenen Werte bleiben ein Mysterium. Die Gründe für die ständigen Veränderungen ahnen wir mehr, als dass wir sie verstehen. Analysiert haben wir sie nicht wirklich.

Die Marktforschung kümmert sich um den Markt und sieht nicht, dass der Kunde schon im Laden steht.“

Zauberwort „Omnichannel-Analyse“

Die Marktforschung kennt viele Instrumente, sehr prominent ist der Fragebogen, oder das Interview in allen möglichen Facetten.

Fragen können wir immer erst, wenn das Erlebte bereits als Erfahrung abgespeichert wurde. Fragen muss man, wenn man nicht dabei sein kann, wenn etwas passiert.

Kann man das Erleben miterleben, dann muss man nicht mehr fragen.

Die Technik ist endlich so weit: Ob Telefon, mail, oder Portal, alle Daten liegen als Transskript vor und können unter Zuhilfenahme KI-basierter Systeme in einer Gesamtschau analysiert werden. So ist es jetzt möglich, das ganze Universum der Kontakte zusammen zu lesen. Mal rufen Kunden an, mal schreiben sie, und noch viel zu selten nutzen sie die „Selfservice“-Möglichkeiten der Internetportale. Die Omnichannel-Analyse ist schon lange ein Zauberwort.

Jetzt können wir Kontaktverhalten ganzheitlich analysieren und sehr wichtig: auch direkt steuern.

Im Kundendialog wird ein wichtiges Forschungsfeld der Marktforschung vergessen

Im Servicecenter vermisse ich die Marktforscher! Zweifellos entwickeln wir gegebenenfalls eine neue Marktforschungsdisziplin: Wir können zuhören und wir können den Kundendialog ohne „Umwege“ analysieren.

Die Marktforschung verfügt über die Kompetenzen und Methoden, die sehr geeignet sind, zu verstehen, was Kunden belästigt, was sie ärgert und was sie eventuell auch zu Fans werden lassen könnte.

Lernen, unsere Service-Leistungen so zu verbessern

Hören wir zu, was im Kundenkontakt besprochen werden muss, dann können wir lernen, unsere Service-Leistungen so zu verbessern, dass sie Bindung entfalten und überflüssige, lästige Kontakte entfallen. Wir erfahren dann auch, ob unsere Kunden sich auch wirklich darauf verlassen können, die gebuchten Services zuverlässig zu erhalten.

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Über die Person

Dr. Johannes Kirsch studierte Soziologie und ist in einem Strukturvertrieb für Versicherungen ins Berufsleben gestartet. Ebenfalls bei einem Versicherer baute er die Marktforschung vertriebsnah mit auf und wechselte in den Direktvertrieb. Heute arbeitet er als Berater für Inhouse wie Outsourcing-Partner Kundenservicecenter. Sein Schwerpunkt war und ist in allen Funktionen die Entwicklung und Erhaltung von Kundenbindung und die prozessorientierte Qualitätssteuerung im Kundendialog.

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