Rat der Markt- und Sozialforschung bearbeitet momentan keine Beschwerden
Angst vor Haftungsklagen
Eigentlich ist es Aufgabe des Rates der Deutschen Markt- und Sozialforschung, Fehlerverhalten der Branche hinsichtlich Qualität oder Datenschutz transparent zu machen und zu sanktionieren. Allerdings: Mehrere Brancheninsider deuteten jüngst an, dass eingereichte Beschwerden zur Zeit nicht bearbeitet würden – bislang ohne öffentliche Stellungnahme der Institution.

Für marktforschung.de berichtet Vanessa Köneke
Nun bestätigt Hartmut Scheffler, Vorsitzender des Rates, auf Nachfrage gegenüber marktforschung.de, dass momentan keine Beschwerdeverfahren aufgenommen würden. Zum letzten Mal sei eine Beschwerde 2014 begutachtet worden.
Öffentlich bekannt geworden war eine Rüge zum letzten Mal im September 2013. Auf der Website des Rates heißt es unter "Aktuelle Rügen" nur: "Der Rat hat keine Rüge in den letzten drei Monaten ausgesprochen." Die veröffentlichten Statistiken reichen sogar nur bis zum September 2012.
Gerügte Unternehmen wehren sich
Grund für die derzeitige Inaktivität ist laut Scheffler Rechtsunsicherheit. Die letzten Verfahren wären in ihrer Komplexität immer schwieriger geworden. Das hat bei den gut zehn Mitgliedern von Prüfungsausschuss und Beschwerderat offenbar Haftungssorgen ausgelöst. Gerüchte, dass die Mitglieder des Beschwerderates zurückgetreten sind, dementiert Scheffler. Der Rat tage nur aktuell nicht, die Anträge ruhten. "Wir müssen klären, welche Risiken für die Ratsmitglieder, besonders die Mitglieder des Beschwerdeausschusses, entstehen könnten, wenn beispielsweise gerügte Firmen gegen die Rüge juristisch vorgehen würden", erläutert Scheffler.
Um was es bei diesen Beschwerdefällen genau gegangen ist und inwiefern sie sich von früheren unterscheiden, unterliegt der Vertraulichkeit. In jedem Fall scheinen sich gerügte Unternehmen mehr als früher zu wehren. Zu einer Klage ist es laut Scheffler allerdings bisher noch nicht gekommen.
Rechtsgutachten soll am 18. Mai vorgestellt werden
Um die offenen juristischen Fragen zu klären, hat der Rat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Inzwischen liegt es wohl vor. "Das Thema ist nicht trivial, aber es scheint lösbar", sagt Scheffler. Das Gutachten zeige Wege auf, wie es mit dem Rat weitergehen könne. "Die Umsetzung wird allerdings noch etwas dauern", so Scheffler. Ziel sei es, den Rat zum vierten Quartal dieses Jahres wieder voll funktionsfähig zu machen.
Genaueres über den Inhalt des Gutachtens möchte der Ratsvorsitzende noch nicht bekannt geben, ebenfalls nicht, wer das Gutachten erstellt hat. Zunächst sollen die Mitglieder des Rates bei der Mitgliederversammlung am 18. Mai mehr erfahren. Auch der Leiter der Beschwerdestelle, Rechtsanwalt Stefan Drewes, hat auf Anfrage von marktforschung.de nicht Stellung genommen. Details dürften aber nach der Mitgliederversammlung bekannt werden.
Von anderen Branchen lernen?
Während der Marktforschungsrat noch hypothetische Klagen diskutiert, haben die Selbstregulierungsorganisationen anderer Branchen bereits einschlägige Erfahrung gemacht. So erhielt beispielsweise der Presserat 2006 von der Zeitschrift Öko-Test eine Unterlassungsklage. Er hatte kritisiert, dass das Magazin bei Tests für Kindercremes nicht genügend auf Krebsrisiken hingewiesen hätte. Zu Unrecht, wie das Frankfurter Landgericht im Rahmen einer Klage der Öko-Test entschied. Der Presserat müsse die Behauptung unterlassen. Allerdings hob das Oberlandesgericht das Urteil 2008 wieder auf. Die Rüge durfte aufrechterhalten und weiterhin verbreitet werden.
Der springende Punkt in den Verfahren war die Frage, ob die konkreten Aussagen der Rüge eine Tatsachenbehauptung darstellten oder ein Werturteil. Die Unterscheidung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen dürfte auch beim Marktforschungsrat eine Rolle spielen.
"Beide Äußerungen unterliegen der Meinungsfreiheit, aber bei Werturteilen ist der Spielraum größer, da sie keinen Beweisen zugänglich sind", erläutert Christoph Thole, Professor für Bürgerliches Recht sowie Zivilprozess- und Insolvenzrecht an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Haftungsprobleme können laut Thole vor allem auftreten, wenn eine Tatsachenbehauptung aufgestellt wird und jene falsch ist. "Für Schadenersatzansprüche müsste die Richtigkeit der Äußerung zudem vorsätzlich oder fahrlässig nicht ausreichend geprüft worden sein", so Thole. Das Haftungsrisiko des Rates schätzt er daher als moderat ein. Tatsächlich sind auch gegen Presse- und Werberat so gut wie keine erfolgreichen Klagen bekannt. Als eingetragener Verein würde der Marktforschungsrat übrigens nur als gesamter Verein haften, nicht die einzelnen Mitglieder, ergänzt Thole.
Rat "kein zahnloser Tiger"
Dem Pessimismus scheint auch Hartmut Scheffler nicht verfallen. Schließlich sei der Anlass der aktuellen Rechtsunsicherheit positiv. "Dass der Rat immer ernster genommen wird, zeigt: Wir sind kein zahnloser Tiger."
Ähnlich sieht es Bernd Wachter, Vorstand der Initiative Markt- und Sozialforschung. "Dass der Rat mehr und mehr Beachtung findet, ist für unsere Initiative wichtig. Der Rat ist der Beweis, dass es die Branche ernst meint mit der Abgrenzung vom Direktmarketing", erläutert Wachter gegenüber marktforschung.de. Wenn sich Verbraucher durch Umfrage- oder Werbeanrufe belästig fühlten, meldeten sie sich oft zunächst in der Geschäftsstelle der Initiative. "Wir weisen dann auf den Beschwerderat oder die Verbraucherzentralen hin", erläutert Wachter.
Wer in letzter Zeit diesem Rat gefolgt ist und sich mit einer Beschwerde an den Rat der Markt- und Sozialforschung gewandt hat, wurde laut Scheffler im persönlichen Gespräch darüber informiert, dass das Verfahren zunächst nicht aufgenommen werde und warum dies so sei. Wie viele Beschwerden momentan in der Warteschlange hingen, wisse er nicht. Aber bislang hätten sich alle Beschwerenden verständnisvoll gezeigt, so Scheffler. Tatsächlich hat sich an die Verbraucherzentralen noch kein nun doppelt verärgerter Bürger gewandt. Jedenfalls ist den Pressestellen der Landesverbraucherzentralen kein Fall bekannt.
Bisher 27 Rügen
Hintergrund:
Der Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung ist das Selbstregulierungsorgan der Marktforschungsbranche. Er soll dafür sorgen, dass ethische Berufsgrundsätze und Standesregeln wie die Trennung von Marktforschung und Direktmarketing und die Anonymisierung von Daten eingehalten werden. Beschwerden wegen unethischen Verhaltens können Bürger ebenso vorbringen wie Auftraggeber der Marktforschungsinstitute oder Wettbewerber.
Der Rat wurde 2001 vom Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute (ADM), der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute (ASI) und dem Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher (BDM) gegründet. Seit 2006 gehört ihm auch die Deutsche Gesellschaft für Online-Forschung (DGOF) an.
Bislang hat der Rat – laut offizieller Statistik, das heißt von 2001 bis 2012 – 62 Beschwerden genauer geprüft. In 27 Fällen ist es zu einer öffentlichen Rüge gekommen, in 17 weiteren zu einer Ermahnung.
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