Qualitätssicherung – was tun? Kontroverse Podiumsdiskussion beim BVM-Kongress
Den Abschluss des diesjährigen BVM-Kongresses bildete eine Podiumsdiskussion zur derzeit brandaktuellen Frage der Qualitätssicherung. Robin Spicer von Bilendi, Eckart Strangfeld von Mainova AG (als betrieblicher Marktforscher), Methodenexperte Prof. Rainer Schnell von der Universität Duisburg-Essen, Iris Schuster von ForschungsWerk und Prof. Wildner (als BVM-Vorstandsmitglied, Geschäftsführer des GfK-Vereins sowie Vorsitzender des Rates der Deutschen Markt- und Sozialforschung gleich in mehrfacher Rolle) diskutierten angeregt und nicht immer im Konsens.

Podiumsdiskussion mit Robin Spicer (Bilendi), Iris Schuster (ForschungsWerk), Eckart Strangfeld (Mainova AG), Prof. Dr. Rainer Schnell (Uni Duisburg/Essen) und Prof. Raimund Wildner (GfK). Moderation: Jan Hofer ©marktforschung.de
Branchenschelte vom Statistikprofessor
Vor allem Wissenschaftler Schnell ging mit der Branche hart ins Gericht: Es fehle massiv an Validierungsstudien. Signifikanzintervalle würden aufgrund vernachlässigter Klumpen- und Gewichtungseffekte sowie abweichender Verteilungen systematisch unterschätzt (sein pragmatischer Korrekturvorschlag dazu: Intervallgrenze immer mit 1,4 multiplizieren, besser sogar 2-mal mit 1,4.). Der Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung sei zu passiv, da nur auf Anfrage tätig, und zudem seien seine Rügen nur temporär auf der Website zu sehen. Besonders preis-aggressive Ausschreibungen gehörten zurückgewiesen und neu ausgeschrieben, statt von der Branche bedient. Und schließlich sei Onlineforschung für repräsentative Zwecke gänzlich ungeeignet, und die Befragungen des Spiegel gemeinsam mit dem Startup Civey aus wissenschaftlicher Sicht gar unverantwortlich. (Das zunehmende Problem, mit dem von ihm präferierten klassischen Zufallsverfahren repräsentative Stichproben zu realisieren, fiel dabei allerdings unter den Tisch.)
"Schlechte Marktforschung ist so teuer, die kann man sich nicht leisten" (Prof. Wildner)
Auch bei den anderen Diskutanten herrschte Einigkeit über zu hohen Preisdruck, der die Qualität der Forschung bedrohe und der über schlechtere Marketingentscheidungen letztendlich zu viel höheren Kosten beim Auftraggeber führe. Ebenso wurde einhellig die Bedeutung der Befragtenmotivation betont, allerdings in unterschiedlicher Intensität; von der Sicherstellung hoher Teilnehmerzufriedenheit (Spicer) bis hin zum Ziel, die Interviewten durch die Befragung "ein Stück glücklicher zu machen" (Schuster). Und auch Wildners negative Einschätzung zum Off-Shoring von Interviews fand keinerlei Widerspruch: Selbst die GfK habe dies versuchsweise durchgeführt, aufgrund mangelhafter Qualität dann aber sofort verworfen. Auch wenn der Verband hier nichts verbieten könne, sei zumindest eine Aufzeigepflicht in Angeboten anzustreben.
Ansonsten gingen die Ansichten aber vielfach auseinander, wobei sich drei zentrale Streitfragen herausschälten:
1. Holschuld oder Bringschuld?
Ist der Auftraggeber für die Qualität der Forschung mitverantwortlich? Sollte er zum Beispiel aktiver im Forschungsprozess mitwirken, die Datensätze zu Kontrollzwecken anfordern, Qualitätsanforderungen formulieren etc.? Diese Position wurde vor allem von Vertretern der Verbände – auf dem Podium und im Publikum – vertreten. Oder ist die Qualität eine selbstverständliche Bringschuld des Anbieters, dessen Auftraggeber die Resultate sorgenfrei in die eigenen Entscheidungsprozesse übernehmen kann, wie es andere Teilnehmer formulierten? Eine interessante Frage, auch vor dem Hintergrund von Zeit- und Kostendruck einerseits und schwindender methodischer Expertise auf der Auftraggeberseite andererseits.
2. Die Rolle der Verbände
Sollen die Verbände primär einen Ordnungsrahmen geben und ansonsten als passive, daher nur auf Anruf hin tätige Prüfinstanz agieren, oder sich mehr zu einer "Qualitätspolizei" entwickeln, die auch selbstinitiativ Gerüchte verfolgt und mögliche Verfehlungen aufspürt. So waren nach Aussagen von Diskussionsteilnehmern die Probleme mit den beiden Instituten, auf die die SPIEGEL-Berichterstattung verwies, seit vielen Jahren bekannt. Indes, es fehlte die formale Anzeige, ohne die die Verbände bisher nicht in Aktion traten. Ungeachtet der von den Verbänden bereits initiierten Maßnahmen dürfte die entsprechende Diskussion also munter weitergehen.
3. Abwarten oder Handeln?
Wie offensiv die Branche insgesamt mit dem Thema umgehen soll, war während der ganze Diskussion Gegenstand zahlreicher Wortmeldungen. Besonders Schwung bekam das Thema selbst zum Ende des späten Nachmittags nochmals, als Hartmut Scheffler (Kantar TNS-Geschäftsführer und zudem bis 2017 ADM-Vorsitzender) die Passivität der Branche anprangerte: Die Diskussion sei "nicht anders als vor zehn Jahren, nichts war neu", man verharre im "man sollte" statt endlich was zu tun. Neben verbindlichen Qualitätsversprechen gehöre dazu auch zu überlegen, ob Marktforschung zeitgeistgemäß tatsächlich sexy und überraschend sein solle oder doch lieber langweilig, aber seriös. Auch wenn es dann hieße, da ist er wieder, "der alte Mann mit den blöden Fragen aus den 70er-Jahren".
Wie auch immer die Position zu den drei Streitfragen ist: Als Fazit aus zwei Tagen BVM-Kongress lässt sich ziehen: Die Branche lebt, ist vielfältig und hochlebendig, manchmal sexy und vielfach seriös. Zu hoffen ist, dass sich die letzten beiden Eigenschaften auf Dauer noch zuverlässiger miteinander verbinden – und dass die Qualitätsdiskussion die Branche nicht weitere zehn Jahre in Atem hält.
HMP
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