Marktforschungsbranche trotz Handlungsdruck schlecht auf die EU-DSGVO vorbereitet
Befragung zur EU-Datenschutz-Grundverordnung
Die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung tritt am 25. Mai 2018 in Kraft. Aus diesem Anlass hat marktforschung.de ein Jahr im Voraus Verantwortliche für Datenschutz in Markt- und Sozialforschungsinstituten und bei Dienstleistern der Branche befragt, welche Auswirkungen sie aufgrund der angepassten Regulierung erwarten und wie gut sie bereits auf die neuen Anforderungen vorbereitet sind.

Von Matthias Richter, marktforschung.de
Bereits im Oktober 2016 berichtete marktforschung.de über die Ergebnisse einer Studie von Dell zum Thema EU-Datenschutz-Grundverordnung. Für diese Untersuchung wurden mehr als 800 IT- und Business-Professionals befragt, die für den Datenschutz in Unternehmen mit europäischen Kunden zuständig sind. Ergebnis: Trotz der hohen Sanktionen, die bei Verstößen drohen, schien ein Großteil der Firmen unvorbereitet.
Die Uhr tickt: Das Inkrafttreten der EU-DSGVO rückt näher
Bald tritt die neue Verordnung in Kraft und es stellt sich die Frage, ob und wie sich die Marktforschungsbranche auf mögliche Auswirkungen auf die eigene Geschäftstätigkeit vorbereitet hat. Zu diesem Zweck hat marktforschung.de im Mai diesen Jahres 45 Geschäftsführer, Datenschutzbeauftragte und weitere Verantwortliche für Datenschutzfragen in Marktforschungsunternehmen zur EU-DSGVO befragt. In der Erhebung geht es um den derzeitigen Informationsstand der Branche, die erwarteten Herausforderungen und darum, welche Maßnahmen die Akteure schon ergriffen haben.
Mehr als die Hälfte der Befragten noch wenig mit den Auswirkungen beschäftigt
Die Auswertung der Frage, wie sich Unternehmen schon mit den Konsequenzen der EU-DSGVO auf die Branche oder das eigene Unternehmen auseinandergesetzt haben, zeigt, dass ein Großteil der Verantwortlichen noch immer relativ unvorbereitet ist. So sagt knapp die Hälfte, dass sie zwar von der Verordnung gehört, sich aber noch wenig mit den konkreten Folgen beschäftigt hat. Jeder Zehnte (9 Prozent) gibt an, dass die Verordnung bisher gar nicht geläufig war. 45 Prozent haben die Auswirkungen thematisiert, wirklich intensiv jedoch nur weniger als ein Fünftel (18 Prozent).

Verunsicherung, drakonische Strafen, Verwaltungschaos
Die Befragten, die zumindest bereits von der Datenschutzrechtsanpassung gehört hatten, sollten die anstehenden Herausforderungen für ihr Unternehmen und die Branche einschätzen. Deutlich wird eine große Verunsicherung, wie rechtssicheres Verhalten in der Marktforschungsbranche in Zukunft auszusehen hat. Unsicherheiten befürchten die Befragten bei der Kontaktierung von Personen für Befragungen und der Nutzung, Speicherung und Verarbeitung der erhobenen Daten. Bei der Nutzung von externen Daten sei eine erhöhte Vorsicht geboten.
Die befragten Experten sprechen hinsichtlich der Sanktionen bei Verstößen von “exorbitant hohen“ oder “drakonischen“ Strafen. Dieses potenzielle Risiko könne gerade kleine und mittelständische Unternehmen ohne eigene Rechtsabteilungen lähmen. Viele der Befragten war vor der Erhebung über die Höhe der möglichen Sanktionen von 20 Millionen Euro oder 4 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes noch nicht informiert.

Einige wünschen sich sehr klare Richtlinien und Kommentierungen der Verordnung speziell für Marktforschungsunternehmen seitens der Verbände. Insgesamt rechnen die Befragten mit einer Überforderung der Unternehmen durch die steigende Komplexität der Rechtslage.
Letztlich erwarten viele der Experten hohe Aufwände auf operativer Ebene, besonders die Bürokratisierung von Prozessen durch die Notwendigkeit einer ausführlichen Dokumentation wird angesprochen. Interne Ressourcen müssen aufgebaut werden, um die Vorgaben umzusetzen, manche der Befragten scheinen mit einem regelrechten Verwaltungschaos zu rechnen. Zudem werde es wichtiger, die Mitarbeiter für Compliance zu sensibilisieren. Manche zweifeln gar an der Sinnhaftigkeit der Verordnung mit dem Verweis darauf, dass ohnehin unzählige Sonderbestimmungen für die einzelnen Länder gelten. Bei einer so hohen Anzahl von nationalen Sonderklauseln könne man nicht von einer Vereinheitlichung oder Harmonisierung sprechen.
“Ich habe ein Seminar-Thema zur DSGV besucht – danach wollte ich mich erschießen.“ Anonymes (überspitztes) Zitat eines in der Markt - und Medienforschung tätigen Geschäftsführers
Licht am Ende des Datenschutz-Tunnels?
Laut der Umfrage sehen zwar die meisten der Teilnehmer Herausforderungen auf sich zukommen. Vereinzelt sagen Experten jedoch auch, dass sie bislang keine konkreten Probleme erwarten. Der deutsche Marktforschungsstandard sei im internationalen Vergleich ohnehin schon sehr hoch. Sie sehen sich als Dienstleister auch nicht immer in der Verantwortung, da sie die entsprechenden Verträge meist vom Auftraggeber erhalten.
Positive Aspekte der DSGVO sehen die Experten ebenfalls; diese betreffen meist allerdings weniger die Unternehmen, sondern eher die Rechte von Umfrageteilnehmern. Letztendlich profitiere der Bürger durch eine höhere Verbrauchertransparenz. Zusätzlich werde eine Wettbewerbsgleichheit unter den Anbietern in Europa geschaffen und bei internationalen Projekten sorge die neue Regulierung für mehr Klarheit und eine Harmonisierung hinsichtlich der Vertragsdokumente.
Einige der befragten Experten geben an, dass sie bereits erste Maßnahmen ergriffen haben, etwa die Anpassung von Vertraulichkeitsvereinbarungen zur Auftragsdatenverarbeitung mit den Kunden. Weiterhin haben sie neue Routinen in Absprache mit externen Datenschutzbeauftragten etabliert. Einwilligungen von Probanden, Datenschutz und Informationssicherheit wurden in den Fokus gerückt. Die DSGVO wurde im Detail auf signifikante Unterschiede zum BDSG untersucht. Ein Experte sagt, dass Überlegungen anstehen, eine externe Prüfung/Zertifizierung durchzuführen.
Einige der Befragten rechnen damit, dass sich die Rolle des Datenschutzbeauftragten (DSB) im Zuge der neuen Verordnung verändern wird. Mehr IT-Kompetenz werde erforderlich sein und der Datenschutzbeauftragte müsse in Zukunft noch enger mit EDV- und IT-Abteilung zusammenarbeiten. Insgesamt käme mehr Arbeit auf den DSB zu, sodass Datenschutz in vielen Unternehmen zur Vollzeitstelle werden könnte. Externe Datenschutzbeauftragte hingegen werden nach Einschätzung der Experten teurer werden, da sie künftig eine gute Versicherung benötigen.
Verbänden und Fachverlage als wichtige Informationsquellen
Von unseren Experten wollten wir auch wissen, über welche Quellen sie sich zur EU-DSGVO informieren. Besonders oft nennen die Teilnehmer Branchenverbände, am häufigsten den BVM, gefolgt von ESOMAR und dem ADM. Außerdem geben die Befragten weitere Fachmedien wie marktforschung.de und allgemeine Medien wie Spiegel Online an. Die Informationen beziehen sie häufig über Newsletter oder Websites, manchmal auch über Fachzeitschriften oder Zeitungen. Einige Geschäftsführer erkundigen sich intern bei ihrem Datenschutzbeauftragten oder erfragen die für sie wichtigen Informationen bei externen Beratern oder Anwaltskanzleien.
Im Rahmen unseres Themenspecials “Datenschutz“ halten wir Sie rund um die Umsetzung der EU-DSGVO in der Branche auf dem Laufenden. Weitere Artikel von Experten zum Thema Datenschutz und Informationssicherheit finden Sie in unserem Datenschutz-Dossier. Nachrichten, die über juristische Fragestellungen in der Marktforschung berichten, werden in unserem Themenspecial “Researchability – Verantwortung für Markt und Daten“ veröffentlicht.
Zur Studie:
marktforschung.de hat im Mai 2017 Ansprechpartner für Datenschutzfragen in Markt- und Sozialforschungsinstituten und bei Dienstleistern der Marktforschungsbranche zur neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung befragt. An der Online-Erhebung nahmen insgesamt 45 Datenschutzverantwortliche teil. Die Ergebnisse dieser Interviews wurden qualitativ ausgewertet.
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