GOR 15: Der Data Scientist geht um
General Online Research Conference

Köln – Irgendwas ist anders, mag sich manch ein Besucher gedacht haben, der am Freitag nach drei Tagen gut besuchter GOR-Konferenz die Fachhochschule Köln verließ. Zwar gab es mit dem üblich breiten Spektrum an Vorträgen und Diskussionen zum aktuellen Stand der Online-Forschung im positiven Sinne Gewohntes und Anregendes, aber: speziell eine Session, die sich gerade nicht mit Methodik- oder Forschungsfragen befasste, machte zum Schluss der Veranstaltung durchaus nachdenklich. So hatten sich in der letzten Session des Tages mit Tilman Rotberg (GfK), Henner Förstel (Manufacts), Marco Ottawa (Telekom Deutschland) und Patrizia Trolese (pt profession) unter der Leitung von Prof. Matthias Fank (Fachhochschule Köln) zusammengefunden, um den Wandel im Berufsbild des Marktforschers zu diskutieren und einen Ausblick ins ja gar nicht mehr so ferne Jahr 2020 zu wagen.
Marktforschung in der Post Survey Welt
Und die lebhaft geführte Debatte im Rahmen des von marktforschung.de als Programm-Partner betreuten Tracks D machte vor allem noch einmal deutlich, wie tiefgreifend die Digitalisierung mit all ihren Konsequenzen eben dieses Berufsbild schon jetzt verändert hat und weiter verändern wird. Einig waren sich die Diskutanten vor allem dahingehend, dass die Aufgaben des Marktforschers künftig noch weit vielschichtiger sein werden und das "Verstehen" von Information immer stärker das "Generieren" von Daten ablösen wird. "Wir werden künftig nicht daran gemessen werden, dass wir Informationen haben, sondern inwieweit es uns gelingt, auf dieser Basis strategische Argumentationsketten zu bauen", so Henner Förstel, Geschäftsführer von Manufacts. Tilman Rotberg, Global Lead Technology bei GfK, maß vor allem dem Berufsbild des "Data Scientist" eine wachsende Bedeutung zu. In einer "Post Survey World" brauche es Talent, das Techniken aus Informatik, Statistik und Mathematik kombinieren könne, um unstrukturierte Daten sinnhaft aufzubereiten, so Rotberg. Auch verkäuferische Fähigkeiten seien in zunehmendem Maße gefragt.
Fotostrecke: Data Scientists, Gamer und Gewinner
Dies alles mag vielleicht nicht ganz neu sein. Aber die Diskussionsrunde vermochte noch einmal mit Nachdruck zu verdeutlichen, wie sehr sich alle Protagonisten der Branche in ihrem Tun hinterfragen müssen und sich niemand hinter einem "das haben wir immer schon so gemacht" verstecken kann.
Eine Herausforderung und gleichzeitig eine Chance?

Behavioural Economics: Context is King
Und auch die Podiumsdiskussion unter dem Motto "Behavioural Economics: A new idea of man – a need for new methods?" drehte sich um den Wandel: Unter der Leitung des marktforschung.de-Herausgebers Prof. Horst Müller-Peters diskutierten Dr. Florian Bauer (Vocatus), Prof. Dirk Frank (ISM Global Dynamis), Jon Puleston (Lightspeed / GMI) und Orlando Wood (BrainJuicer Labs) die Notwendigkeit, Methoden der empirischen Sozialforschung zu hinterfragen. Einig waren sich die Diskutanten auch hier, dass ein Umdenken stattfinden müsse – insbesondere hinsichtlich des Bildes vom menschlichen Entscheider: Der Kontext einer Entscheidung, die Situation, in der sich der Entscheider befindet, rückt gegenüber der Persönlichkeit in den Vordergrund. Eine zunehmende Rolle müssten daher Simulationen, Experimente, Befragungen unter Zeitdruck oder ähnliches spielen. Es gebe kein Standardsystem, dass der Mensch bei seinen Entscheidungen immer benutze, betonte Orlando Wood in diesem Kontext. "Verhalten ist extrem durch die Umgebung und die Menschen in der Umgebung beeinflusst. Manchmal können diese Aspekte nicht vollumfänglich in einer Umfrage berücksichtigt werden", so Wood.
Ähnlich argumentierte auch Florian Bauer: "Menschen hassen es, Entscheidungen zu treffen." Bezogen auf Kahnemans System 1 / System 2-Theorie sagte er: "Es gibt Produkte, die eher auf Basis 'System 1' gekauft werden, wohingegen die gleiche Person andere Produkte auf Basis 'System 2' kauft." Es ginge daher nicht darum, ein System durch ein anderes zu ersetzen, sondern darum, dass beide Systeme gematched werden müssten, so Bauer.
Vom Forscher zum Versteher also auch hier?
(Mehr zum Thema "Behavioural Economics lesen Sie im aktuellen marktforschung.dossier).
GOR Awards: Die Gewinner
Den Methodenwandel sicht- und diskutierbar zu machen, gehört auf der GOR zur guten Tradition – nicht zuletzt auch in Form der im Rahmen der Veranstaltung verliehenen Awards. Den "GOR Best Practice Award 2015" – marktforschung.de berichtete bereits – erhielten Eva Herzog, Kerstin Hammen (beide Yahoo! Deutschland) und Michael Wörmann (Facit Digital) für ihre Studie "Native Ads - Ad Content in Context".
Den ersten Platz in der Kategorie "Poster Award" erreichten in diesem Jahr Jana Sommer, Birk Diedenhofen und Jochen Musch (alle Universität Düsseldorf) für ihr Poster "Not to Be Considered Harmful: Mobile Users Do Not Spoil Data Quality in Web Surveys".
Mit dem "GOR Thesis Award" ausgezeichnet wurde in der Kategorie "Beste Dissertation" Bella Struminskaya (GESIS – Leibniz Institut für Sozialwissenschaften). Sie erhielt den Preis für ihre Arbeit mit dem Titel "Data quality in probability-based online panels: Nonresponse, attrition, and panel conditioning". Als beste Abschlussarbeiten im Bereich Master-/Bachelorarbeit wurden Alexander Wenz (University of Essex) für "Predicting Response Times in Web Surveys" und Leonie Flacke (Universität Münster) für "Website Evaluation at Different Phases of Website Use" ausgezeichnet.
Eine Branche im Wandel
Und sonst?
Eine dreitägige Konferenz vollumfänglich zu erfassen, ist nahezu unmöglich – dafür ist das Programm viel zu umfangreich. Keine Kritik – dies liegt in der Natur der Sache und bietet schlussendlich jedem Teilnehmer die Möglichkeit, aus einem breiten Themenfundus entsprechend seiner eigenen Interessenslage auszuwählen.
Das Interesse an dem Format ist jedenfalls weiterhin vorhanden, wie die Besucherzahlen auf Vorjahresniveau zeigen. Auch ein im Vorfeld medial omnipräsentes Naturschauspiel namens Sonnenfinsternis – wetterbedingt in Köln dann schlussendlich gar nicht sichtbar – hat offenbar keinen Online-Forscher vom Besuch der GOR abhalten können.
Die GOR 15 hat eine Branche im Wandel gezeigt, in der weiterhin Vieles auf dem Prüfstand steht. Die Diskussion über Methoden, deren Validität, aber auch deren Vermarktbarkeit wird weitergehen.
Sie muss es auch.
cl
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